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Willy Brandt ans Fenster

von Lothar Tautz:

In den Tagen vor dem 19. März 1970 brei­te­re sich das Gerücht aus, Wil­ly Brandt käme nach Erfurt. Das war eine Sen­sa­ti­on für einen Fan des „Sozia­lis­mus mit mensch­li­chem Ant­litz“ wie mich. Tage­lang dach­te ich dar­über nach, was ich tun wür­de. Hör­te am Ange­reck her­um, ob die Hip­pie-Freun­de sich ähn­li­che Gedan­ken machten.

Nahm mir aber vor, allein zu han­deln und mich zum Bahn­hofs­vor­platz durch­zu­schla­gen, um dort ganz laut als ein­sa­mer Rufer in der Wüste Wil­ly Brandt mei­ne Sym­pa­thie kund­zu­tun. Schließ­lich war er der­je­ni­ge, der dazu auf­ge­for­dert hat­te, mehr Demo­kra­tie zu wagen, und inso­fern betrach­te­te ich ihn als mei­nen per­sön­li­chen Verbündeten. 

Ich hat­te lan­ge über­legt, wie ich denn zuerst ein­mal rein geo­gra­phisch an mein Ziel gelan­gen könn­te, denn dass es in der gesam­ten Innen­stadt nur so von Spit­zeln wim­meln wür­de, war klar. Ich beschloss, anstatt durch Gas­sen und Neben­stra­ßen zu schlei­chen, ganz ein­fach das zu tun, was ich immer tat: Ich ging die Jahn-Stra­ße hin­un­ter in Rich­tung Anger. Die Stra­ßen waren eigen­tüm­lich leer, wie am 1. Mai eine Stun­de nach dem Ende der Demon­stra­ti­on. Also lief ich ein­fach wei­ter, in die Bahn­hof­stra­ße hin­ein. Da stan­den sie, die unauf­fäl­lig grau bejack­ten Jungs. Ich begriff nicht, wie­so nie­mand aus einem Haus­ein­gang gesprun­gen kam, um mich fest­zu­hal­ten und mein Per­so­nal­do­ku­ment abzu­for­dern. Das kann­te ich schon. Nein, ihre Auf­merk­sam­keit rich­te­te sich voll und ganz dahin, wo mein Ziel lag, auf den Bahn­hofs­platz. Na gut, ich ging wei­ter mit­ten auf der Stra­ße und kam mir vor, wie Gary Coo­per in „Zwölf Uhr mittags“.

Hey, das ist ein Gefühl, das glaubst du nicht! Als könn­test du die sprich­wört­li­chen Ber­ge ver­set­zen. In dei­ner Brust schwillt die Kraft der Zuver­sicht, du bist voll kon­zen­triert und in dei­nem Bauch fühlst du schon die Erup­ti­on der nahen­den Ver­än­de­rung der Welt, die du höchst­per­sön­lich her­bei­füh­ren wirst.

Plötz­lich spür­te ich, dass die­ses Gefühl im Bauch nicht aus mei­ner hel­den­haf­ten Absicht erwuchs, son­dern von außen kam. Die Luft schwang, die Stra­ße beb­te, ich hör­te mei­nen Ruf mir ent­ge­gen­kom­men: „Wil­ly – Brandt – an´s – Fen­ster !“  Was war das, begin­nen jetzt mei­ne Träu­me schon selb­stän­dig, ohne die Tat des Urhe­bers abzu­war­ten, zu agie­ren? Doch da sah ich schon, was mein Hel­den­tum ermög­lich­te, ohne dass die Sicher­heit ein­schritt: Es waren Hun­der­te von Hel­den gekom­men, die mei­nen Ruf vor mir ange­stimmt hat­ten. Ich brauch­te bloß ein­zu­stim­men, die Staats­macht zeig­te sich macht­los und Wil­ly – kam an‘s Fenster.

Info: Lothar Tautz gehör­te 1968 zu den Unter­stüt­zern des “Pra­ger Früh­ling” und war Mit­be­grün­der der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei in der DDR im Jah­re 1989. 

Bild­quel­le: Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung

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